Bilanzielle Überschuldung
Die bilanzielle Überschuldung stellt einen der drei Insolvenzgründe nach der deutschen Insolvenzordnung dar und ist in § 19 InsO geregelt. Sie liegt vor, wenn das Vermögen eines Unternehmens seine Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Diese Definition wurde insbesondere durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) von 2008 präzisiert und enthält mit der Fortführungsprognose ein zukunftsorientiertes Element.
Die bilanzielle Überschuldung hat in der Praxis eine hohe Relevanz für die Unternehmensführung und -überwachung. Sie erfordert ein systematisches Krisenfrüherkennungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG und regelmäßige Überprüfungen der wirtschaftlichen Lage. Die frühzeitige Erkennung einer drohenden Überschuldung ist entscheidend für die erfolgreiche Sanierung eines Unternehmens. Dabei kommt der sachgerechten Erstellung und Interpretation des Überschuldungsstatus sowie der Fortführungsprognose eine zentrale Bedeutung zu.
Abgrenzung zur Unterbilanz
Von der bilanziellen Überschuldung ist die Unterbilanz abzugrenzen, die lediglich das buchmäßige negative Eigenkapital beschreibt. Während die Unterbilanz sich ausschließlich an den Buchwerten orientiert, berücksichtigt die Überschuldungsprüfung auch stille Reserven und stille Lasten. Zudem basiert die Bewertung bei der Überschuldungsprüfung auf Liquidationswerten, sofern keine positive Fortführungsprognose vorliegt. Diese differenzierte Betrachtung ist insbesondere für die insolvenzrechtliche Bewertung von erheblicher Bedeutung.
Der zweistufige Überschuldungstest
Die Prüfung einer möglichen Überschuldung erfolgt in einem zweistufigen Verfahren. In der ersten Stufe wird ein Überschuldungsstatus erstellt, der die Vermögenswerte und Schulden des Unternehmens gegenüberstellt. Dabei sind nach § 19 Abs. 2 InsO die Bewertungsmaßstäbe an der Fortführungsprognose auszurichten. In der zweiten Stufe erfolgt die Fortführungsprognose als eigenständige Komponente. Diese Prognose umfasst nach herrschender Meinung einen Zeitraum von mindestens einem Jahr und muss die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Unternehmensfortführung nachweisen.
Bewertungsfragen bei der Überschuldungsprüfung
Die Bewertung der Vermögensgegenstände richtet sich nach der Fortführungsprognose. Bei positiver Prognose sind Fortführungswerte anzusetzen, die sich an den handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften orientieren. Bei negativer Fortführungsprognose sind hingegen Liquidationswerte maßgeblich. Auch nicht bilanzierte Vermögenswerte wie selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände oder stille Reserven sind zu berücksichtigen. Die Bewertung muss dabei den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprechen und nach § 252 HGB vorsichtig erfolgen.
Handlungspflichten der Geschäftsführung
Für die Geschäftsführung ergeben sich aus der drohenden Überschuldung besondere Pflichten. Nach § 15a InsO besteht bei Kapitalgesellschaften die Pflicht, spätestens drei Wochen nach Eintritt der Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Eine Verletzung dieser Pflicht ist nach § 15a Abs. 4 InsO strafbewehrt. Zusätzlich können sich zivilrechtliche Haftungsansprüche nach § 43 GmbHG oder § 93 AktG ergeben. Die Geschäftsführung ist daher verpflichtet, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens kontinuierlich zu überwachen.
Sanierungsmöglichkeiten
Bei drohender oder bereits eingetretener Überschuldung stehen verschiedene Sanierungsoptionen zur Verfügung. Diese umfassen bilanzielle Maßnahmen wie Kapitalerhöhungen oder Forderungsverzichte der Gläubiger, aber auch operative Restrukturierungsmaßnahmen. Mit dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) steht seit 2021 zudem ein präventiver Restrukturierungsrahmen zur Verfügung, der eine Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens ermöglicht.